
Erwerbsmigration: Eine Lösung für den Fachkräftemangel in Deutschland?
Die Erwerbsmigration ist zu einem der zentralen Themen geworden, wenn es um die Zukunft des deutschen Arbeitsmarkts geht. Die zunehmende Fachkräftelücke stellt die Wirtschaft vor enorme Herausforderungen, während gleichzeitig immer weniger inländische Arbeitskräfte verfügbar sind. Das Jahr 2022 markierte einen neuen Höhepunkt dieser Problematik: Über 630.000 offene Stellen konnten nicht besetzt werden, da es keine ausreichend qualifizierten Arbeitslosen gab, die diese Positionen hätten einnehmen können. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies eine Zunahme von 80,8 %, was die Dringlichkeit des Problems unterstreicht.
Die Fachkräftelücke und ihre Ursachen
Besonders betroffen sind Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung, von denen es 2022 etwa 355.188 zu wenig gab. Diese Zahl macht knapp 42 % der gesamten offenen Stellen auf diesem Qualifikationsniveau aus. Der Mangel zieht sich durch verschiedene Branchen, besonders jedoch durch das Handwerk und technische Berufe, wo der Bedarf an qualifizierten Fachkräften besonders hoch ist.
Aber nicht nur bei den Fachkräften, sondern auch bei den Ausbildungsplätzen zeigt sich ein alarmierender Trend. Die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Vor allem im Handwerk spitzt sich die Situation zu, da immer weniger geeignete Auszubildende gefunden werden können. Ein Hauptgrund dafür ist die mangelnde Qualifikation vieler Schulabgänger. Noch immer verlassen Zehntausende Jugendliche in Deutschland die Schule ohne Abschluss – im Jahr 2021 waren es 47.500. Selbst bei Schulabgängern mit Abschluss zeigen sich oft Defizite in den Grundkompetenzen, insbesondere in Mathematik, Deutsch und allgemeiner Bildung. Diese fehlenden Grundlagen machen es schwierig, die Anforderungen der modernen Arbeitswelt zu erfüllen.
Die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes
Um der wachsenden Fachkräftelücke entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung beschlossen, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu reformieren. Der Kabinettsbeschluss wurde bereits gefasst, und am 27. April 2023 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Ziel dieser Reform ist es, ausländische Arbeitskräfte gezielt anzuwerben und schneller in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Regierung hofft, durch eine vereinfachte und beschleunigte Einwanderung den bestehenden Arbeitskräftemangel zu bekämpfen und den demografischen Wandel zu bewältigen.
Das Gesetz soll voraussichtlich im Herbst oder Winter 2023 in Kraft treten. Die Absicht, die Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, ist klar erkennbar. Dennoch bleibt abzuwarten, wie effektiv die Umsetzung in der Praxis gelingt, da die öffentliche Verwaltung selbst unter einem akuten Mangel an Fachkräften leidet. In den Ausländerbehörden gibt es derzeit erhebliche Bearbeitungsstaus, die die schnelle Integration ausländischer Arbeitskräfte erschweren. Zudem variieren die Vorgehensweisen der Ausländerbehörden von Bundesland zu Bundesland, da diese der Länderhoheit unterstehen. Diese Unterschiede führen oft dazu, dass offene Stellen nicht oder nur mit Verzögerung besetzt werden können, was zu wachsender Frustration bei Arbeitgebern und Bewerbern führt.
Bürokratische Hürden und Frustration
Viele Unternehmen beklagen, dass die bürokratischen Hürden die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland erschweren. 52 % der befragten Unternehmen sehen den Abbau von Bürokratie als wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration ausländischer Fachkräfte. Die langsame Bearbeitung von Visa-Anträgen und die uneinheitlichen Regelungen in den Bundesländern führen zu erheblichen Verzögerungen. Dies führt nicht nur dazu, dass Stellen unbesetzt bleiben, sondern erhöht auch den Druck auf die bestehende Belegschaft, die mit Überstunden die Lücken füllen muss. Gleichzeitig verlieren ausländische Bewerber oft die Geduld, wenn ihre Anträge nicht rechtzeitig bearbeitet werden, und suchen sich andere Möglichkeiten, was den ohnehin angespannten Arbeitsmarkt zusätzlich belastet.
Was muss getan werden?
Um die Erwerbsmigration erfolgreich zu gestalten, sind umfassende Reformen erforderlich. Es bedarf einer Bündelung der Kompetenzen, um die Bearbeitung von Visa-Anträgen zu beschleunigen und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden effizienter zu gestalten. Dies könnte durch eine einheitliche Handhabung der Ausländerbehörden sowie durch eine Digitalisierung und Vernetzung aller beteiligten Akteure erreicht werden. Besonders wichtig ist auch eine intelligentere Vorrangprüfung der Bundesagentur für Arbeit, um sicherzustellen, dass geeignete inländische Arbeitskräfte bevorzugt berücksichtigt werden, ohne den Prozess für ausländische Bewerber unnötig zu verlangsamen.
Die Initiative „Erwerbsmigration gestalten – Zukunft optimieren“
In diesem Kontext hat das Council for Strategic Research and Diplomacy e.V. die Initiative „Erwerbsmigration gestalten – Zukunft optimieren“ ins Leben gerufen. Ziel dieser Initiative ist es, einen Dialog zwischen Unternehmen, Verbänden, Gewerkschaften, Bildungsträgern, politischen Parteien und anderen Akteuren zu fördern, um ein tragfähiges Konzept zur Erwerbsmigration zu entwickeln. Dabei sollen insbesondere die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen berücksichtigt werden, die oft besonders stark vom Fachkräftemangel betroffen sind. Die Initiative plant, bis Ende 2024 ein Strategiepapier zu erstellen, das konkrete Maßnahmen und Handlungsempfehlungen enthält, um die Herausforderungen der Erwerbsmigration erfolgreich zu bewältigen.
Fazit
Die Erwerbsmigration bietet für Deutschland eine enorme Chance, die wachsende Fachkräftelücke zu schließen und den demografischen Wandel abzufedern. Doch um dieses Potenzial auszuschöpfen, sind umfassende Reformen und eine effiziente Umsetzung erforderlich. Es gilt, bürokratische Hindernisse abzubauen, die Bearbeitung von Visa-Anträgen zu beschleunigen und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden zu verbessern. Nur so kann es gelingen, ausländische Arbeitskräfte erfolgreich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft langfristig zu sichern.